Eine TCE-Sonderveröffentlichung

"Der preussische Extremist
und die Amazonen"

von

Chaka Boves

Über Heinrich von Kleists
Drama "Penthesilea"
und seinen Bezug
zur SF & Fantasy

 

September  2006

Cover ''Der preussische Extremist ...'' - Layout: Joe Kutzner

Inhalt:

Der Autor Chaka Boves beendet dieses TCE-Sonderfanzine mit einem Appell an die deutsche Fantasyautorenschaft:

"Zunächst aber wäre ein deutscher Fantasyautor wünschenswert, der genug Talent und innovativen Mut besäße, die "Penthesilea" in einen Roman im Wortschatz unserer Zeit zu fassen, ohne ihren Sinn „publikumswirksam“ zu verfälschen.
Der Verkaufserfolg von Dan Simmons Romanen "Ilium" und "Odysseus" zeigt, dass eine qualitativ gelungene Verbindung antiker Stoffe mit Science Fiction oder Fantasy durchaus Käufer findet.
...
Für die Zukunft wäre so eine eigenständige SF & F in Deutschland denkbar, in der Frauen überwiegend mit „männlich“ assoziierte Eigenschaften offen zeigen könnten, ohne deshalb gleich in ihrer Weiblichkeit denunziert und ideologisch vereinnahmt zu werden, wie es allenthalben heute geschieht."

Zuvor deckt der Autor schonungslos die Schwächen in der aktuellen SF & Fantasy-Literatur auf, wenn es darum geht, Amazonen als Handlungspersonen darstellen zu wollen:
Geprägt von Sexismus ... in Unkenntnis der tatsächlichen Lebensverhältnisse dieses Kriegervolkes ... "Arsch- und Titten-Rambos", nennt Boves sie wenig despektierlich.

Besser, viel besser, machte es da, so der Autor, vor 200 Jahren einer der großen Autoren der Deutschen Klassik, dem erst posthum der Ruhm zugesprochen wurde, der ihm zustand:

Heinrich von Kleist

Sein Drama "Penthesilea" - die Handlung angelegt in der Zeit des Trojanischen Krieges, 1808 erstmals gedruckt - war zur Zeit seiner Veröffentlichung ein Skandal:

Anders als in Homers "Ilias", dem Vorbild für viele deutsche Dramen der Klassik (z. B. Goethes "Iphigenie auf Tauris"), tötete hier die Königin der Amazonen (Penthesilea) den größten griechischen Krieger Achilleus (und nicht umgekehrt) ... das Ende einer tragischen Hassliebe zwischen zwei Todfeinden, die sich dennoch so nahe kamen wie eben Menschen, die in leidenschaftlicher Liebe verfallen sind.

Chaka Boves begründet anhand von Kleists eigener Biografie und den ungeschriebenen Gesetzen der Kriegervölker der Antike, warum es zu einem solch dramatischen und keinem anderen Schluss des Stücks kommen musste.

Ein ungewöhnlicher Blick zurück in die Anfänge deutscher Fantasyliteratur und zugleich eine detaillierte Informationsquelle über die Sitten und Gewohnheiten antiker Kriegervölker


Leseprobe:

Was bei Kleists Amazonen so überzeugt, das ist die vollendete Einarbeitung und Darstellung dessen, was eine feministische Autorin einmal „die dunklen Seiten der Artemis“ genannt hat: ihre selbstverständliche Ausübung von Macht, die sich in einer permanenten Gewaltbereitschaft zeigt.
Diese Amazonen sind keine „schönen“ Weibchen in modisch-adretter Bewaffnung, die sich als Wichsvorlagen für einen bestimmten Männertyp eignen würden: Sie sind hart, sie sind schmutzig, sie strotzen vor Selbstbewusstsein, und sie töten, wie man Wasser trinkt. Sie sind keine Chiffren für irgendeine (männliche) Moral, sie haben auch keine „Moral“ im herkömmlichen Sinne, schon gar keine „klassische“; aber sie haben sehr wohl Regeln, die ihr Zusammenleben wie das jeder Gemeinschaft bestimmen.
Das oberste gesellschaftliche Prinzip der Amazonen bei Kleist aber lautet:
Sie haben nur Sex mit einem Mann, den sie vorher im Kampf besiegt, sprich: sich unterworfen haben. Auch wenn Kleist dies nicht näher auslotet (es wohl auch nicht konnte, angesichts des zu erwartenden Gekreisches der damaligen Spießer), so wird einem bei der Lektüre des Dramas doch schnell klar, dass die Amazonen Kleists einen ähnlich dualistischen Liebesbegriff haben wie die ihnen gegenüberstehenden Griechen.
Sie trennen messerscharf zwischen Sex und Liebe:
Sex mit Männern ist für die Amazonen nicht mehr als eine nebensächliche Pflichtübung zum Zwecke der Fortpflanzung. Fürs „Herz“ – und wohl auch für den befriedigenderen Teil der Sexualität – sind Frauen, bevorzugt solche der eigenen Gruppe, zuständig.

Die Amazonen der "Penthesilea" allerdings nur auf dieses Schema festzulegen, käme einer sexistischen Reduktion gleich. Ihnen stand mit Sicherheit die volle Palette von Empfindungen zur Verfügung, zu denen alle Frauen fähig sind.
Doch lässt das von Kleist zu ihrem „obersten Verfassungsgrundsatz“ erhobene Postulat, Sexualität mit Männern erst nach deren Anerkennung weiblicher Dominanz durch physische Gewalt zuzulassen, nur einen Schluss zu:
Diese Amazonen setzten im sozialgesellschaftlichen Umgang mit ihren (vermutlich größtenteils mehr oder weniger patriarchalen) Nachbarn nicht auf Einvernehmen und Kooperation.
Vielmehr waren sie ihnen gegenüber in einer anhalten-den Konfrontationsstellung begriffen.

Die Tatsache, dass sich die matriarchalen Amazonen durch ihre Gesellschaftsordnung so fundamental von den sie umgebenden Völkern abhoben, dürfte Auswirkungen auf ihre Vorstellungen von Sexualität gehabt haben. Wie aber eine Lebensgemeinschaft Sexualität definiert und mit ihr umgeht, verweist auf die Kräfte, die diese Kultur innerlich zusammenhalten. Die schroffe Antihaltung selbst im Intimsten menschlicher Gefühle machte es ihnen möglich, äußere Einflüsse weitestgehend zu negieren.
Das aber hat ihre Entwicklung hin zu einer einmaligen exklusiven Ethnie sehr begünstigt.
Da in dieser Frühzeit der Antike jeder des anderen Wolf war und zwischen „zivilisierten“ und „ barbarischen“ Völkern bestenfalls graduelle Unterschiede bestanden, mussten die Amazonen schon aus Gründen des Überlebens ihres Volkes hochaggressiv sein.
Auch wenn es Anhängerinnen und Anhänger der Theorie von der „friedfertigen Frau“ (Margarethe Mitscherlich) schmerzen mag: Dieses Matriarchat, wenn es denn je bestanden hat, musste vor diesem Zeithintergrund kämpfen können.

Da die „Männerjagd“ für den Fortbestand der ganzen Ethnie von existentieller Bedeutung war, haben sich an ihr wohl vor allem die Amazonen beteiligt, die später auch am meisten mit der gemachten „Beute“ zu tun haben sollten. Junge Amazonen waren es, die bevorzugt zu diesem Zwecke auszogen, denn sie waren der agilste und beweglichste Teil der Amazonen-Gesellschaft. Die älteren „gesetzteren“ Amazonen mussten schon deshalb im „Stammland“ zurück-bleiben, um die anfallenden Arbeiten zu erledigen, vor allem aber zur ständigen Verteidigungspräsenz gegen stets mögliche Angriffe.

Die unter Penthesilea vor Troja stehenden Amazonen dürften daher so eine amazonische Jung“mannschaft“ auf „Männerfang“ gewesen sein. Es wäre aber wirklichkeitsfremd anzunehmen, sie wären nur zu diesem Zweck allein unterwegs gewesen. Bestimmt hatte die Teilnahme (und das heil Zurückkommen) an einer „Männerjagd“ für Amazonen die Funktion eines Initiationsritus.
Durch ihn vollzogen sie den Übergang ins Erwachsensein: Erst nach einer „Männerjagd“ war eine Amazone eine „richtige“ und anerkannte Amazone.
Doch erscheint es kaum wahrscheinlich, dass diese jugendlichen unternehmungslustigen Frauen die Strapazen gefährlicher und langwieriger „Raids“ allein wegen der Gefangennahme einiger Männer auf sich genommen haben.
Weit weg von der Autorität ihrer Mütter, dürften sie sich zunächst einmal unter „Fremden“, die sie allesamt als „anders“ und als „Feinde“ ansahen, gründlich ausgetobt haben. Gleichzeitig war die „Männerjagd“ auch die (gewaltsame) „Shopping-Tour“ junger Amazonen.
Alle von ihnen „besuchten“ Völker haben sie vermutlich als Melkkühe betrachtet, die unter Zuhilfenahme von Bogen und Doppelaxt (in der Beherrschung dieser Waffen galten die Amazo-nen als unerreicht!) kräftig gemolken werden konnten.
Diese zutiefst gewaltbereiten „Teenager“, aufgewachsen im Gefühl des Unterschieds zu allen anderen sie umgebenden Kulturen, vermutlich sogar fest daran glaubend, die einzigen wirklichen „Menschen“ zu sein, im Waffengebrauch und dem Reiten von Kindheit an trainiert, und entschlossen, dieses Wissen endlich auch anwenden zu können, müssen sich schnell in einen beispiellosen Beute- und Blutrausch aus Omnipotenz- und Lustgefühlen hineingesteigert haben.
Da sie keinerlei innere Hemmschranken gegenüber Leben und Besitz von „Nicht-Amazonen“ kannten, müssen ihre kämpferischen Fähigkeiten mit der der Adoleszenz eigenen Freude an Quälerei und Grausamkeit für die von einer „Männerjagd“ Betroffenen ein mörderischer Cocktail gewesen sein, der zu einer traumatischen Erfahrung wurde. Da sie die von ihnen Heimgesuchten nicht als „Menschen wie wir“ wahrnahmen, gab es für diese antiken weiblichen „Hooligans“ keinen Grund für Gnade und Schonung.
Frauen, Kinder, Alte, Schwache ... diese entfesselten „Gören“ (Keine dürfte älter als 18 Jahre gewesen sein!) haben sie alle mitleidlos niedergemacht ... ebenso wie Männer . Es anders anzunehmen oder darzustellen, wäre Schönfärberei. Nichts dürfte bei so gedemütigten patriarchalen Völkern zugleich Angst vor und Wut auf jede weibliche Herrschaftsform so begründet und gefestigt haben, wie Opfer solcher Mord- und Plünderzüge jugendlicher Amazonen geworden zu sein.


Impressum:

"Der preussische Extremist und die Amazonen" ist ein nichtkommerzielles Fanzine
des TCE (Terranischer Club EdeN).
Für den Inhalt ist allein der Autor verantwortlich.
September 2006
Umfang: 88 Seiten - Format: DIN A5 - Softcoverbindung
Auflage: 51 Exemplare - Einzelpreis: 4,00 € plus 1,20 € Versand
Text: Chaka Boves / illustriert / Coverlayout: Joe Kutzner

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Letztes Update dieser Seite am 19.10.2006