S C I E N C E # 38

...aus Raumfahrt, Wissenschaft und Forschung

 

Bemannte Raumfahrt in China
Teil 2


Teil 2

Eine Bemerkung vorab:

Mein Aufruf in Paradise #37 wurde erhört, Prospero sei Dank!
Es gibt tatsächlich eine Bezeichnung für chinesische Raumfahrer:

"Taikonauten"

Das macht Sinn, denn das chinesische "Taikong" ist gleichbedeutend mit "Weltall" oder "Kosmos", und entspricht damit dem amerikanischen "astro-" bzw. dem russischen "kosmo-". Ein "taikong ren" ist im Reich der Mitte ein "Raumfahrer".
Ein gewisser Mr. Chiou Lee Yi aus Malaysia hat diese Benennung 1998 eingeführt. Warum? Weil er damit verdeutlichen wollte, dass nun die Chinesen wie vor ihnen die Amerikaner und Sowjets die souveräne Fähigkeit zur bemannten Raumfahrt entwickelt haben.

[Ich persönlich würde es für besser halten, sich auf einen (1) Begriff weltweit zu einigen, die Erde wächst schließlich zusammen. Man stelle sich nur vor, andere Nationen kämen auf die gleiche Idee. In der künftigen ISS hätten wir dann zwischen "Weltallauten" (BRD, Aut, Ch) , "Universanauten" (It, Fr, Sp), "Verdensaltauten" (Nor)... und wie sie dann noch alle heißen, zu unterscheiden]

In Teil 1 dieses Berichtes wurde das brandaktuelle bemannte Raumfahrtprogramm Projekt 921 vorgestellt. Es beinhaltet vier Projekte:

  1. den Bau einer neuen Trägerrakete, der CZ-2F
  2. die Entwicklung eines Raumschiffes (Projekt-Nr. 921-1)
  3. den Aufbau einer kleinen Raumstation (Projekt-Nr. 921-2) und
  4. den Bau eines Shuttles (Projekt-Nr. 921-3).

Das bemannte Raumfahrtprogramm ist auf mehr als 20 Jahre angelegt. Die Trägerrakete ist inzwischen fertiggestellt und betriebsbereit. Wie ich gleich näher erläutern werde, gilt das inzwischen auch für das Raumschiff. Die Russen haben dabei tatkräftig mitgeholfen, indem sie den Chinesen Hardware aus den SOJUS-Programmen verkauften und Taikonauten in der Sternenstadt ausbildeten.

In Teil 1 hatte ich noch davon gesprochen, dass es im Raumfahrtzentrum Jiuquan bei Peking eine große Explosion im Oktober gegeben habe... weshalb man in Peking den Start des ersten bemannten Fluges auf das Jahr 2005 verschoben habe. Mag sein, dass es diese Explosion wirklich gegeben hat. Ein Fehlstart des ersten 921-1-Testflugs?
Wer nun geglaubt hat, die Planungen seien auf Jahre zurückgeworfen, erlag einer großen Täuschung:

Einige von euch werden die Nachricht in den Medien am Rande entdeckt haben:
Im Internet geisterte am 20. November die Meldung durch die Datenkanäle, dass um 06:30 Ortszeit (19. Nov., 22:30 Uhr MEZ) von Jiuquan ein 921-1 Raumschiff gestartet sei!? Einen Tag später bestätigte eine offizielle chinesische Agentur diese Meldung und gab gleichzeitig bekannt, dass die Rückkehrkapsel in Nordchina (Innere Mongolei) gelandet sei, nur 12 km entfernt vom vorausgesagten Standort. Fotos von der Aufprallstelle belegen, dass die Kapsel unversehrt gelandet ist.

 

20. November 2000 22:30 MEZ
Geglückter Start eines 921-1 "Shenzhou"-Raumschiffs

Die Shenzhou-Rückkehrkapsel ist gelandetDie Shenzhou-Rückkehrkapsel ist gelandet

Erste Untersuchungen der Rückkehrkapsel Erste Untersuchungen der Rückkehrkapsel

 

Es sei der erste erfolgreiche Flugtest des bemannten Raumschiffs "Shenzhou", wie es von Präsident Jang Tsemin genannt wird, gewesen – unbemannt natürlich! Dennoch sei ein "Taikonaut" an Bord gewesen; damit ist aber nur eine Dummypuppe in Originalgröße eines Menschen gemeint, mit der wahrscheinlich die Wirkung der Beschleunigungskräfte getestet werden sollte. Das Orbitalmodul von Shenzhou befinde sich auf einer Erdumlaufbahn und sei bereit für weitere Experimente.

Noch einen Tag später berichteten auch die chinesischen Medien über den Raumflug. Im TV-Hauptprogramm CCTV wurde ein Video mit Liveaufnahmen von den Startvorbereitungen und dem Start der CZ-2F-Trägerrakete sowie einer gerenderten Simulation des Wiedereintritts der Kapsel gezeigt.

Das chinesische TV zeigt eine Animation des Raumfluges von Shenzhou.
Das chinesische TV zeigt eine Animation des Raumfluges von Shenzhou:

 

Damit wurde offiziell das bestätigt, was ich im ersten Teil noch als ‚an Wahrscheinlichkeit grenzende Vermutung' darstellen musste: Das Raumschiff entspricht in der Realität fast genau den dort vorgestellten Konstruktionszeichnungen. Lediglich das zweite Paar Solarzellenflächen fehlte in der Animation.
Inwieweit die Kapsel über ein komplettes Lebenserhaltungssystem verfügte, ist nicht bekannt.
Nicht fehlen durften natürlich die chinesische Flagge und einige Briefmarken. Von der Inneren Mongolei nach Peking zurücktransportiert, ließen es sich die höchsten Politiker des Staates nicht nehmen die Rückkehrkapsel zu besichtigen.
 

Neugierige Blicke hoher Politiker in das Innere der RückkehrkapselNeugierige Blicke hoher Politiker in das Innere der Rückkehrkapsel

 

 

Am 30. November wird offiziell der Konstrukteur des Raumschiffs vorgestellt: Qi Faren, 66 Jahre alt, der auch an der Entwicklung des ersten chinesischen Satelliten "Dongfanghong-1" (Start: 1970) beteiligt war. Qi Faren ist der Chef eines gut tausendköpfigen Teams und nun verantwortlich für einen Durchbruch in der bemannten Raumfahrttechnik des Reiches der Mitte.
"Wir werden nun keine Zeit mehr verlieren", sagte er der Presse, "wir werden Menschen, so schnell es geht, ins All schicken."

 

Nach diesen topaktuellen Informationen will ich nun zu den anderen beiden Teilstücken des bemannten Raumfahrtprogramms Chinas kommen:
 

Projekt 921-2 - Eine Raumstation

Auch darüber gab es bisher nur Vermutungen;
Beobachter halten drei Wege für möglich:

  • Die Kopplung zweier Shenzhou-Raumschiffe zu einer kleinen Station...
  • Eine größere eigenständige Station...
  • Eine spätere Beteiligung an der Internationalen Raumstation ISS...

Die Sojus 4 & 5 - Lösung: 2 Shenzhou-Raumschiffe koppeln zu einer kleinen Raumstation zusammen.
Die
"Sojus 4 & 5"-Lösung: 

2 Shenzhou
-Raumschiffe koppeln  zu einer kleinen Raumstation zusammen.

1.) Der erste Weg wäre sicher der einfachere und billigere. In Teil 1 wies ich daraufhin, wie ähnlich Shenzhou dem russischen SOJUS-Schiff geworden ist.
Im Unterschied zu SOJUS ist die 921-1-Serie frontwärts mit einem Andocksystem und einem inneren Transfertunnel ausgestattet, über den die SOJUS-Serie in ihren Anfängen nicht verfügte. Die Sowjets konnten ihre erste Raumschiffskopplung erst mit SOJUS 4 & 5 im Januar 1969 absolvieren (s. "der verlorene Traum"). Damals gab es noch keinen Transfertunnel in den Raumschiffen, und die Kosmonauten mussten für das Überwechseln ins All aussteigen.
Für die Taikonauten wird es dagegen gleich von Anfang an kein Problem sein, ihre beiden Schiffe "Nase-an-Nase" anzudocken und sich durch den Tunnel zu besuchen.
Die beiden gekoppelten Raumfahrzeuge können dann für mehrere Wochen eine kleine Orbitalstation bilden.

2.) Ursprünglich sollte die eigene Raumstation 921-2 recht stattlich ausfallen:   

Wunschvorstellung oder bald Realität: Eine eigene chinesische Raumstation???

Zwei mögliche 921-2 Varianten:

Die kleinere Raumstationsversion mit einem Andockmodul - ein Shenzhou-Raumschiff hat angedockt.

Gesamtgewicht: 20 Tonnen 
Länge: 15 Meter
Durchmesser: 4,20 m
mit dem von der Sojus-Serie her bekannten Mehrfach-Andockmodul

 


Links die kleinere Version mit einem Andockmodul, die von einer CZ-2F-Rakete ins All transportiert werden kann

Unten die ursprünglich geplante  größere Version
mit 2 Andockmodulen:

Die ursprünglich geplante größere Version mit zwei Andockmodulen

 

Sie sollte vorne mit einem fünfköpfigen MIR-ähnlichen Andockmodul (s. o.) ausgerüstet werden. Damit hätte sie durch Andocken mehrerer Shenzhou-Einheiten zu einem großen Stationskomplex erweitert werden können.
Wie in Teil 1 berichtet, wurde jedoch die Entwicklung einer neuen H2Oflüssig/Kerosin-Trägerrakete zugunsten militärischer Projekte aus den letzten beiden 5-Jahres-Plänen gestrichen. Die Verantwortlichen konnten sich lediglich für eine aufgerüstete Variante CZ-2F der bewährten CZ-2E-Trägerrakete entscheiden (mit einer N2O4/UDMH-Mischung als Brennstoff). Was für die zu bauende Raumstation aufgrund der geringer als geplanten Nutzlastkapazität des Trägers bedeutet:
Eine Reduzierung der Gesamtmasse auf 12 Tonnen, der Länge auf 10 Meter, den Verzicht auf das spezielle Andockmodul. Statt diesem erhält das 12t-Modell eine einfache Andockvorrichtung an seinen beiden Enden (s. Abb. ob. lks.). Der Durchmesser bleibt dagegen unverändert.

Im Februar 1999 bekam Projekt 921-2 die offizielle Genehmigung, die ersten Design-Zeichnungen der Raumstation erschienen im Mai. Ein erster Start wird nicht vor 2002 prognostiziert.

 
3.)    Noch verfolgt China mit Projekt 921-2 eigene Wege zu einer nationalen Raumstation. Es könnte aber durchaus sein, dass auf dem Wege dorthin Probleme auftauchen, die eine Umorientierung nötig machen.
Verläuft das bemannte Shenzhou-Projekt weiterhin erfolgreich, könnte man (und hat man wahrscheinlich schon intern) bei den Chinesen eine Beteiligung an der Internationalen Raumstation in die weiteren Planungen einbeziehen.
Was die Hardware betrifft, wäre es kein größeres Problem:
Die Shenzhou-Serie wird mit dem bewährten russischen Ankopplungssystem ausgestattet, ist mithin also kompatibel zum Andocksystem von ISS.

   

Projekt 921-3: Ein Shuttle

1980 veröffentlichten die Chinesen erstmalig Aufnahmen aus dem "Cockpit" eines zweisitzigen Raumfahrzeug-Simulators. In späteren Jahren tauchten vereinzelte Berichte von Windtunnelexperimenten auf. Der Typ war unzweifelhaft ein Dynasoar-Shuttle, angelehnt an das X-20 Modell der USA aus den 60-er Jahren, welches damals aus der weiteren Förderung gestrichen worden war.

 

Windkanal-Modell des chinesischen Daynasoar-ShuttlesWindkanal-Modell des chinesischen Dynasoar-Shuttles

 

Erst im April 1992 wurde man konkreter (s. Teil 1):
Das bemannte Raumfahrtprojekt 921 soll auch die - ehrgeizige - Entwicklung eines modernen Erde-All-Transportfahrzeugs umfassen:
Einen Raumgleiter mit Delta-Flügeln.
Die nebenstehende Abbildung zeigt ein Windtunnel-Modell der Orbiterstufe des Shuttles.
Das Projekt ist naturgemäß langfristig angelegt:
An einen Flug denkt man in China nicht vor 2020.

Jedenfalls behauptet man das in der Öffentlichkeit.  


Quellen

Marc Wade: Encyclopedia Astronautica
Go Taikonauts!

Joe, the Nighthawk


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Letztes Update dieser Seite am 12.07.2003