S C I E N C E # 37

...aus Raumfahrt, Wissenschaft und Forschung


Bemannte Raumfahrt in China
Teil 1


Teil 1

Die Anfänge

Die Anfänge der chinesischen Raumfahrt gehen in die 70-er Jahre zurück. 1976 startete der erste (Spionage-)Satellit der FSW-Serie. 1978 wurden Fotos veröffentlicht, die Astronauten in eindrucksvollen Raumanzügen bei ihrem Training zeigten. Im Mai 1980 gelang es zum ersten Mal, die Rückkehrkapsel eines unbemannten Raumschiffes nach einem suborbitalen Flug im Südpazifik unversehrt zu bergen.
Alles sah erfolgversprechend aus, als völlig unerwartet im Dezember 1980 der Generalsekretär der neu gegründeten chinesischen Raumforschungsgesellschaft bekannt gab, dass das Projekt "Bemannte Raumfahrt" aufgrund seiner hohen Kosten gestrichen worden sei.
Es sollte mehr als ein Jahrzehnt vergehen, bis sich die kommunistische Volksrepublik eines Besseren besann...
Heimlich, still und leise, wie einst die Sowjetunion hinter dem Eisernen Vorhang, forcierte man im Reich der Mitte in diesem Jahrzehnt die eigene Raumfahrttechnologie. China möchte in Zukunft auch in diesem Bereich zu den großen Weltmächten gehören.

1992 ließ man die Weltöffentlichkeit einen kleinen Blick durch die Große Mauer werfen:
Die politische Führung hielt die Zeit für gekommen, einen zweiten Versuch für ein bemanntes Programm zu starten. Das neue dreiphasige "Chinesische nationale bemannte Raumfahrtprogramm" erhielt die interne Bezeichnung
"Projekt 921"

  • In Phase 921-1 sollte vor dem Ende des Jahrtausends im Oktober 1999 ein bemanntes Raumschiff gestartet werden.
  • In der zweiten Stufe 921-2 soll eine eigene nationale Raumstation gebaut werden
  • am Ende der dritten Phase steht ein eigener Raumtransporter vom Shuttle-Typ, für dessen Entwicklung man sich Zeit bis 2020 gegeben hat.

Hier werden das chinesische Raumschiff und seine Trägerrakete vorgestellt; der zweite, in Science # 38 erscheinende Teil dieses Berichtes beschäftigt sich mit der zu bauenden Raumstation und dem Shuttle-Projekt.  

 

Projekt 921-1 - Ein neues Raumschiff, eine neue Trägerrakete:

 

Der 95-er Entwurf des chinesischen Raumschiffs
oben zum Vergleich ein Sojus-Raumschiff

1995er Entwurf des chinesischen Raumschiffs - oben zum Vergleich ein Sojus-Raumschiff


Einen ersten Entwurf für ein neues Raumschiff stellten Wissenschaftler Chinas auf der Internationalen Astronautenföderationstagung 1995 vor. Das Design erinnerte sehr stark an die russische SOJUS-Kapsel (im Bild oben): Dreiteilig, mit Service- und Orbitalmodul sowie einer mittig dazwischen liegenden Rückkehrkapsel (zu SOJUS und im Weiteren: siehe auch das TCE-Sonderzine "Der verlorene Traum"  zum Mondwettlauf USA - UdSSR). Die Rückkehrkapsel unterschied sich allerdings deutlich vom Vorbild: durch ihre ungewöhnliche Birnenform. Die beiden anderen Modulteile schienen auf den vorgelegten - offenbar wenig detaillierten - Zeichnungen kleiner als bei SOJUS zu sein.

Für das neue Raumschiff brauchte man auch eine neue Trägerrakete. Man wollte weg von den hochgiftigen, bisher benutzten Treibstoffen der vorhandenen CZ-2E-Bauserie; die weltbewährte, Kombination [O 2flüssig / Kerosin] soll an deren Stelle treten. Eine Clusteranordnung von mehreren identischen ersten Raketenstufen (wie z.B. bei der russischen PROTON-Rakete) würde es erlauben, in der Zukunft auch schwerere Nutzlasten ins All zu transportieren, z.b. die 921-2 Raumstation (s.Teil 2).

4 Planspielmodelle der neuen chinesischen Trägeraketen-Serie CZ-2F:

- ganz links als Träger für einen Raumgleiter
- im SATURN-Stil
- im SOJUSBOOSTER-Stil und
- ganz rechts futuristisch

geplante Modelle der neuen CZ-2F-Baureihe

 

 Im Oktober 1993 nahm man den Bau von acht neuen Trägerraketen und acht 921-1-Raumschiffen (davon ein bemanntes) in den achten und neunten Fünfjahres-Wirtschaftsplan Chinas auf.
Der jedoch wenig später - nichts Ungewöhnliches in der Raumfahrt - geändert wurde:
Man verschob die Entwicklung der neuen Boosterserie nach hinten, zugunsten der Entwicklung von militärischen Feststoffraketen, und begnügte sich für die Raumfahrt mit einer Modifikation der CZ-2E-Rakete zum CZ-2F-Modell. Mit der Konstruktion wurde das neu gebaute Flugkontrollzentrum am nördlichen Stadtrand von Peking beauftragt.

1994 erfuhr Projekt 921-1 eine erneute Korrektur:
Die Russen waren aufgrund ihrer prekären wirtschaftlichen Lage nun bereit, ihrem ehemaligen Erzfeind einen Teil ihrer bewährten Flug/Raumfahrttechnologie und -Hardware zu verkaufen. 1995 wurde der Handel vollzogen, in Form eines Kooperationsvertrages. Der Deal beinhaltete u.a.

  • die Ausbildung von chinesischen Astronauten im "Sternenstädtchen", dem legendären russischen Ausbildungszentrum für Kosmonauten, Swjosdny Gorodok,
  • die Bereitstellung von SOJUS-Raumschiffen,
  • Lebenserhaltungs- und Andocksystemen sowie Raumanzügen.

Ein Jahr später erhielten die beiden Astronauten Wu Jie und Li Qinglong
- oder sagt man Kosmonaut? Wohl beides nicht - Wer kann mir sagen, was 'All' auf chinesisch heißt??? - 
ihre Ausbildung in Russland. Mittlerweile sind sie ins Reich der Mitte zurückgekehrt, um ihre Kollegen zu trainieren.

'Sojus'-Korrektur des 921-Raumschiffs

Die birnenförmige Rückkehrkapsel des eigenen Raumschiffentwurfs wurde nun durch die aerodynamisch günstigere Konusform der SOJUS-Kapsel ersetzt:

 

Halle für die neue Trägerrakete CZ-2FNeue Konstruktionshallen entstanden derweil auf dem Startgelände Jiuquan. Im Mai 1998 war es soweit: das erste Testmodell (in Originalgröße) der CZ-2F-Rakete incl. 921-1-Raumschiff als Nutzlast wurde auf die Startrampe gerollt. Über die Form der Rakete stritt man sich im Ausland noch, die Geheimhaltung funktionierte gut.
Deshalb kam es für die Fachwelt sehr überraschend, dass im Juni dieses Jahres auf mysteriöse Weise im Internet Fotografien eines CZ-2F-Boosters auftauchten, einer Rakete, deren Nutzlastspitze fatal an die des SOJUS-Boosters erinnerte! Angeblich seien die Fotos von einer Broschüre einer mongolischen Firma abgescannt, die am Startplatz Jiuquan gearbeitet hatte.

Risszeichnung einer CZ-2F-Trägerrakete

links
Risszeichnung einer 
CZ-2F- Trägerrakete

CZ-2F-Trägerrakete auf der Startrampe

CZ-2F- Trägerrakete
auf der Startrampe

 

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Fotos der Raketenspitze der Form entsprechen, die auf den 1992 vorgelegten Zeichnungen zu sehen war. Vergleiche mit Fotos des SOJUS-Boosters lassen den Schluss zu, dass die chinesische Variante größer ist (und damit auch das Raumschiff?!).

Nutzlasthüllen im Vergleich
von links:
CZ-2F / CZ-2F mit 921-1 / Sojus TK
Sojus TM / Proton-L1-ZOND

Vergleich zwischen Sojus und 921 in ihren Nutzlasthüllen
Animation aus dem chinesichen TV

 

Im Juli ist es dann endlich soweit:
Vier 921-1-Raumschiffe sind startbereit.

Einen Monat später verbreitet die Presse überall im Fernen Osten das Gerücht, es habe eine Treibstoffexplosion in Jiuquan gegeben... von der auch die bemannte Raumfahrthardware betroffen gewesen sei! Die chinesischen Offiziellen dementieren diese Meldungen wenige Tage später.
[Man kennt das aus vergangenen Tagen...]

Nicht widerzulegende Tatsache ist aber, dass wenig später von der chinesischen Führung der Termin des, für den Oktober 1999 angekündigten, ersten bemannten Raumflugs auf das Jahr 2005 verschoben wird

 Viele Geheimnisse um das chinesische Raumschiff bleiben derweil bestehen. So ist die exakte Konfiguration von 921-1 weiterhin rätselhaft. Aus den 1992-er Zeichnungen und den 1999-er Fotos konnten Experten jedoch einige fundierte Schlüsse ziehen:
 


    Die Rückkehrkapsel scheint größer zu sein als die
    SOJUS-Kapsel:
    Länge: 3m - Æ: 2,20 m
    Größenvergleich Sojus ---  921-1

    Das deutet auf eine wiederverwendbare Kapsel hin, vergleichbar dem nie realisierten russischen ZARYA-Modell. Eine Kapsel also, die eine beträchtliche Nutzlast enthalten muss, incl. des kompletten technischen Equipments. Die kleineren Service- und Orbitalmodule dürften dagegen nur mit low-cost-Ausrüstung versehen sein.


    921-1-Raumschiff mit Solarzellenflächen

    921-Raumschiff mit Solarzellenflächen
    Geht man davon aus, sollte das Servicemodul dann nur die Steuerungsdüsen, einen kleinen Raketenmotor und die ausfahrbaren Solarzellenflächen enthalten. Man geht von vier Flächen aus, wobei ungeklärt ist, ob die Anordnung kreuzweise oder parallel angelegt ist. Die Kreuzform würde logischer sein (s.o.).
    921-1 im All - sichtbar die 4 Solarzellenflächen


    Die Fotos der Nutzlasthülle lassen auf ein sehr kleines Orbitalmodul schließen, praktisch nur eine Luftschleuse, mit Platz für einen, allerhöchstens zwei Astronauten. Die 92-er Zeichnung offenbart ein merkwürdiges kugelförmiges Teil an der Spitze des Moduls, das an die Schubdüsenanordnung für die letzten Kurskorrekturen bei Andockmanövern erinnert, welche die Sowjets bei ihrem bemannten Mondkomplex SOJUS-LOK/LK-Mondlander benutzt hatten. Wenn die tatsächlichen Planungen dem entsprechen, dann muss man fragen, wo sich der Andockmechanismus für die spätere Version des 921-1-Raumschiffs befindet, das einmal an die 921-2-Raumstation ankoppeln soll?

    Eine Erklärung wäre eine periphere Anordnung der Schubdüsen um den Andocktunnel herum. Eine Alternative wäre eine Luke innerhalb des Hitzeschildes am Ende der Rückkehrkapsel, so wie früher bei dem russischen TKS- bzw. dem amerikanischen MOL-Konzept. Als ungefähre Daten für Größe und Gewicht des chinesischen Raumschiffs nimmt man heute an
    (zum Vergleich sind die Daten von SOJUS angegeben):

     
    921-1
    Sojus
    Komplett: 
    Gewicht
    Länge
    Durchmesser

    7250 t
    7,50 m
    2,70 m

    8400 t
    8,50 m
    3,00 m
    Service Modul: 
    Gewicht
    davon Treibstoff
    Länge
    Durchmesser

    2950 t
    900 t
    2,30 m
    2,70 m

    2400 t
    1100 t 
    2,20 m
    2,20 m
    Rückkehrkapsel: 
    Gewicht
    Länge
    Durchmesser

    3000 t
    2,20 m
    2,20 m

    5000 t
    3,00 m
    3,00 m
    Orbitalmodul: 
    Gewicht
    Länge
    Durchmesser

    1300 t
    3,00 m
    2,30 m

    1000 t
    3,30 m
    2,00 m


    Quelle für Bilder und Textvorlage:

    Marc Wade: Encyclopedia Astronautica


    Joe, the Nighthawk

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Letztes Update dieser Seite am 12.07.2003