Geniestreiche von Erfindern haben nicht nur bei Daniel
Düsentrieb sondern auch in der Technik oft den außergewöhnlichen
Vorzug denkbar "einfach" konstruiert zu sein. Bisher hatte die Firma nur BAIKAL-Modelle in "Revell"größe
gezeigt und wurde daher von der Fachwelt mit ihrem neuen Projekt nicht
recht ernst genommen. Nun aber sieht die Geschichte anders aus: Die Idee hinter BAIKAL Schon vor einigen Jahren hatte KHRUNISCHEW
eine neue Familie von Trägerraketen vorgestellt, die ANGARA-Serie.
Die Raketen sollten vom in Nordrussland gelegenen Plesezk starten
können. Damit wäre man von den hohen kasachischen Geldforderungen
für Starts von Baikonur befreit. Die Grundidee bei KHRUNISCHEW war 1998 deshalb eine Raketen-Erststufe herzustellen, die nach ihrer Mission wie ein Flugzeug zur Erde zurückkehrt. Dieses Gerät sollte aus einem Booster, wie sie bei den bewährten Trägerraketen des Typs PROTON oder ENERGIJA angebracht sind, bestehen. Der Konzern brauchte, suchte und fand Unterstützung in der Entwicklung seiner Ideen bei der Firma NPO MOLNIJA, deren Chefkonstrukteur Losino-Lusinski u.a. den russischen Shuttle BURAN mitentwickelt hatte. Wie soll eine BAIKAL-Stufe aussehen? Feste unverrückbare Tragflächen wie beim amerikanischen Shuttle kamen für ein Fluggerät nicht in Frage, welches zunächst in der Anfangsphase der Mission die Aufgabe eines Boosters übernehmen muss, also eines starken Raketenbeschleunigers. Die Flügel würden sofort abbrechen. BAIKAL darf daher beim Start nicht viel anders beschaffen sein als die uns wohlbekannten zigarrenförmigen Booster, z.B. der PROTON-Rakete oder des SPACE SHUTTLES. Nun soll eine BAIKAL-Stufe aber wie ein Flugzeug zur
Erde zurückkehren, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hat.
Eine unveränderte "Zigarre" würde zwar auf einer ballistischen
Flugbahn aufgrund der Erdanziehungskraft von selbst zur Erde zurückkehren,
aber leider unangespitzt und ungebremst auf den Grund aufprallen (ob
fester Grund oder Wasser spielt bei den auftretenden Aufprallgeschwindigkeiten
keine Rolle mehr) - und peng! das war's dann, die "Zigarre" würde
sich in ihre "Tabak"-Bestandteile auflösen, und damit das traurige
Schicksal aller bisher gebauten Erststufenbooster teilen.
Und so sieht eine BAIKAL-Stufe im Detail aus: BAIKAL ist damit Raketenstufe und lenk- wie landebares Flugzeug in einer Gestalt geworden. Die Eckdaten einer BAIKAL-Stufe:
Ab 2004 soll die BAIKAL-Stufe zur Verfügung stehen, entweder als Erststufe für niedrige Umlaufbahnen oder als Startstufe für mittlere und schwere Trägerraketen. Der Ablauf einer Mission In der einfachsten Variante wird auf einer (1) BAIKAL-Stufe eine (1) ROKOT/BREEZE-Oberstufe (siehe Para #39 Science) sitzen, die eine (1) Nutzlast (etwa einen Satelliten) enthält. Die Oberstufe wird in einer Höhe von ca. 60 km über dem Erdboden abgetrennt und befördert die Nutzlast weiter in den vorgesehenen Orbit. Der BAIKAL-Booster fliegt unterdessen auf einer ballistischen Flugbahn (d.h. ohne weiteren Triebwerkseinsatz) mit einer Geschwindigkeit von MACH 5,64 weiter auf 95 km Höhe, den höchsten Punkt ihrer Bahn und fällt dann zurück zur Erde. In 80 km Höhe wird mit einer 90 Grad Drehung der Tragflügel ausgeschwenkt; dies bewirkt aus aerodynamischen Gründen eine geringfügige Abbremsung auf MACH 5,5. Die zum Flugzeug gewordene Raketenstufe wird in eine normale Fluglage gebracht und es folgt ein Wendemanöver in Richtung des ca. 480 km Luftline entfernten Landeortes Plesezk. Wie ein Segelflugzeug gleitet BAIKAL nun herab und wird durch die Atmosphäre abgebremst: in 30 km Höhe auf nur noch MACH 1,7. Nun ist es Zeit das Strahltriebwerk zu zünden. Dazu öffnet sich eine Klappe an der Spitze der Rakete und gibt die Lufteinlassöffnung des Düsentriebwerks frei. Über eine sehr steile Kurve beginnt die Landephase. Die Fluggeschwindigkeit beträgt jetzt noch 490 km/h. Mit 280 km/h setzt es auf; für die Landung benötigt BAIKAL eine Bahn von mindestens 1200 m Länge;. Ob die BAIKAL-Stufe nun in Plesetzk landen wird oder auf einem gewöhnlichen Flugplatz anderswo und dann auf anderen Wegen (Schiene, Straße) dorthin zurückgebracht wird, entzieht sich meinem derzeitigen Kenntnisstand. Bereits nach kurzer Zeit ist die Stufe wieder einsatzbereit für die nächste Mission, bis zu 100x die Rakete selbst, bis zu 20x das Raketentriebwerk. Bei Missionen mit den schwereren Exemplaren der ANGARA-Trägerfamilie werden zwei bzw. vier BAIKAL-Erststufen verwendet. Gibt es eine Zukunft für BAIKAL? Obwohl das BAIKAL-Projekt wie das Ei des Kolumbus erscheint,
birgt es doch große Risiken für die Herstellerfirmen KHRUNISCHEW
& NPO MOLNIJA. Aber man sieht sich auch anderweitig nach Partnern um. Und Juri Koptew, der Chef der russischen Raumfahrtbehörde ROSAWIAKOSMOS, bot auf dem Pariser Aerosalon der ESA eine feste Partnerschaft an: Man könnte doch die Feststoffbooster der ARIANE 5 durch die wiederverwendbaren Flüssigkeitsbooster der BAIKAL ersetzen... eine einzelne BAIKAL ist zwar etwas kleiner und schubschwächer als einer der beiden gegenwärtigen Feststoffbooster der ARIANE 5, doch drei oder vier BAIKAL rings um die Hauptstufe gruppiert... damit könnten die Leistungsfähigkeit der ARIANE 5 gesteigert wie die Startkosten gesenkt werden...
Die ARIANE stieße dann in Nutzlastklassen vor, die mit den heutigen Techniken überhaupt noch nicht erreichbar sind. In Verbindung mit neuen stärkeren Oberstufen, die man ja bei ARIANESPACE entwickeln will, entstünde so eine Schwerlastrakete mit enormer Leistungsfähigkeit, einer gewissen Ökotauglichkeit und Konkurrenzlos niedrigen Preisen. Ein äußerst attraktives Angebot also, zumal LOCKHEED und ARIANESPACE Erzfeinde sind... Eigentlich müsste Koptew mit seinem Vorschlag offene Türen eingerannt haben, denn die Europäer dachten in den 80er Jahren selbst an die Entwicklung einer wiederverwendbaren Erststufe, scheiterten damals aber aus technischen und finanziellen Gründen. Inzwischen steht ARIANESPACE unter großem Konkurrenzdruck im internationalen Satellitengeschäft. Die bewährte ARIANE 4 wird bald nicht mehr zur Verfügung stehen! Und die ARIANE 5 ist nicht so sicher, wie man es sich vorgestellt hat, was nach der Katastrophe beim Jungfernflug auch die jüngste Fehlmission im Juli beweist: beide Nutzlasten erreichten nicht ihre vorgesehene Umlaufbahn. Man muss abwarten, inwieweit sich die derzeitigen europäischen Bestrebungen nach Autonomie und Autarkie gegenüber einer, in meinen Augen sinnvolleren Kooperation mit Ländern, die die benötigte Hardware bereits besitzen, durchsetzen werden. Quellen für Text und Bilder: (Ein Dank für's Ausleihen an Schalmirane! J ) Joachim "Joe, the Nighthawk" Kutzner |
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